Was kann Controlling von Extremsituationen lernen? STARTUPS (Post #2)

Interview mit Dr. Adrian Krahn, Unternehmer und CEO verschiedener Startups.

Startups zeichnen sich besonders durch etwas aus: Unsicherheit über die Zukunft. Oft ist das meiste neu, einzigartig und ohne verlässliche Erfahrungswerte. Mich hat interessiert was dies für Auswirkungen auf das Controlling hat und was etablierte Unternehmen davon lernen können.

Adrian Krahn führt verschiedene Startups. Dazu gehört iNNutriGEL, eine 2007 gegründete Schweizer Unternehmung, die neue Technologien für Darreicherungsformen  entwickelt für die Nahrungsergänzungs- sowie Pharmaindustrie. Das Unternehmerteam besteht heute aus rund zehn Mitarbeitenden.

Liquiditätscontrolling ist 1. Priorität

Wir hatten die vorbereitete Frageliste vor uns, aber Unternehmer übernehmen gerne das Zepter und so beginnt auch Adrian gleich mit einem Statement: „Liquiditätsmanagement hat absolut oberste Priorität!“. Denn der Zeitpunkt und die Höhe der Einnahmen können stark schwanken und Ausgaben müssen entsprechend synchronisiert werden. Dazu lässt er sich von seinen Firmen monatlich die aktuelle Liquiditätsrechnung geben und aktualisiert selber die rollende 12-Monatsplanung. Später im Gespräch ergänzt er, dass Jahreszahlen und buchhalterische Ergebnisse für ihn eine untergeordnete Rolle spielen. Zentral ist der langfristig optimale Einsatz der verfügbaren Ressourcen, um die Vision umzusetzen – und die dauert 10 und mehr Jahre. Stärkere Schwankungen bei den buchhalterischen Jahresergebnissen sind normal, viel wichtiger ist es mittel- und langfristig „on track“ zu sein.

Personalcontrolling kommt sofort danach

Und sogleich das zweite Statement: „Es braucht auf allen Positionen intrinsisch motivierte, fähige und unternehmensfreudige Mitarbeiter!“ Und er ergänzt, dass er über die Jahre gelernt hat, dass Mitarbeiter, welche nicht 100% auf die Rollen passen, sofort ersetzt werden sollten/müssen. Dabei ist es ihm wichtig nahe bei den Mitarbeitenden zu sein. Er nutzt z.B. informelle Debriefings nach internen Sitzungen oder Kundengesprächen oder regelmässige persönliche Mittagessen, um den Puls zu fühlen und um sich und seine Mitarbeitenden zu reflektieren und permanent weiterzuentwickeln.

Der Aufbau eines Startups sei zudem wie ein Marathon und immer wieder voll von Zweifeln. Nicht nur er, sondern alle seine Unternehmer-Mitarbeiter, müssen deshalb über genügend Kondition und Selbstvertrauen verfügen, um Rückschläge wegzustecken und um immer wieder neue Wege zu finden.

Wenn Qualität und Charakter von Mitarbeitenden zum kritischen Erfolgsfaktor werden, dann bedeutet Personalcontrolling vor allem sorgfältige Auswahl und  individuelles Monitoring und Coaching von Einzelpersonen. Klassisches “HR-Controlling“ (z.B. FTE, Überstunden, Absenzen) wird dann irrelevant.

Vision und Planung

Am Beispiel iNNutriGEL schauen wir uns die Planung genauer an. Grundlage für die Planung ist die Vision, welche die folgenden Kriterien erfüllen muss: Ein menschliches Grundbedürfnis erfüllen sowie finanzier- und umsetzbar sein. iNNutriGEL hat die Vision einer neuen Darreichungsform in der Form von „Soft Gums“ (ein auf pflanzliche Stärke basiertes Gummy) für rezeptpflichtige und –freie Produkte (RX, OTC)  sowie für Nahrungsergänzungsmittelprodukte weltweit zu etablieren. Gemäss Studien haben 40% der Bevölkerung Schluckprobleme bei der Einnahme von Tabletten und Kapseln. Die „Soft Gums“ lösen dieses Problem. In Nordamerika gibt es schon einige Gummies angereichert mit Nahrungsergänzungsmittel. Sie werden heute allerdings aus Gelatine von tierischen Schlachtabfällen oder an den Zähnen klebenden Pektin hergestellt. Der grosse Nachteil dieser Lösungen ist, dass diese keine hitzeempfindliche Wirkstoffe verarbeiten können und deshalb für viele Wirkstoffe gar nicht in Frage kommen. Zudem bestehen weitere spezifische Bedürfnisse wie z.B. andere Texturen.

Zur Umsetzung der Vision in die Realität braucht es zunächst eine Vorstellung des Geschäftsmodells und einen Grobplan wie ein solches Geschäftsmodell aufgebaut werden könnte. In der Realität sei es dann allerdings so, dass Modell und Plan aufgrund von Entwicklungserfahrungen, unvorhersehbaren und unüberwindbaren Hindernissen oder aufgrund neuer sich ergebender Möglichkeiten laufend modifiziert (Iterationen) werden muss – ganz nach dem Motto „es führen mehrere Wege nach Rom“. Schliesslich ist der Grobplan in einzelne Projekte mit einer Dauer von 2-24 Monaten unterteilt (z.B. Technologie-Weiterentwicklung, Kundenproduktentwicklung, Neue Produktkonzepte, Aufbau einer weltweiten Supply Chain, Marketing usw). Grosszügige Reserven bzgl. Finanzen und Zeit einzubauen sei essentiell. Es gehe praktisch immer länger als es sich ein ungeduldiger Unternehmer erhofft.

Bei den einzelnen Projekten sei es aufgrund von vielen Unbekannten oft schwierig die erwarten Resultate im Voraus genau zu definieren. Vielmehr gehe es darum immer das richtige zu tun für das bestmögliche Ergebnis, analog einem Spitzensportler wie z.B. Usein Bolt, auf der Suche nach einem neuen Weltrekord. Er kann nur neue Trainingsmethoden ausprobieren und möglichst optimal trainieren. Wie gut seine Weltrekord werden würde, konnte (und vermutlich wollte) er im Vorneherein nicht bestimmen.

Auf die Frage, ob es denn einen schriftlichen Business Plan gäbe, erhalte ich die Antwort “Ja”, jedoch vorwiegend für externe Zwecke. Es sei gut ihn gelegentlich zu aktualisieren, um sich die grossen Linien nochmals durchzudenken, für die operative Steuerung sei er aber nicht geeignet.

Monitoring und Steuerung

Die Überprüfung der Projektfortschritte und die Entscheide über die nächsten Schritte erfolgt jeweils in Gremien. Essentiell für die erfolgreiche Steuerung sind dabei die Kompetenzen der Mitarbeitenden. Aufwendige Reportingtools oder detaillierte Prozesse braucht es nicht, Regeln für die Sitzungsführung hingegen schon.

Enorm wichtig sei es jedoch die Produkte früh auszuprobieren und zu testen. Ein „Minimum Viable Product“ sollte möglichst rasch am Markt getestet werden, um neue Kenntnisse zu gewinnen. Sich zu optimistisch auf eigene Annahmen abzustützen würde immer wieder zu Rückschlägen führen. Ebenso sei es wichtig, die Gesamtressourcen im Auge zu behalten und diese gezielt einzusetzen, auch wenn manchmal ein Teilprojekt zugunsten eines anderen zurückgestellt werden muss.

Was Controlling von Startups lernen kann

  • Liquidität ist zentral: Controlling der Liquidität wird dann „überlebens“-wichtig, wenn Einnahmen und Ausgaben asynchron sind und stark schwanken. Ein Aspekt, welcher bei etablierten Unternehmungen besonders beim Projektportfolio-Controlling berücksichtigt werden sollte.
  • Entrepreneurs oder Angestellte: Je unklarer und unvorhersehbarer der Weg ins Ziel ist, desto wichtiger sind kompetente, intrinsische motivierte und unternehmerisch agierende Mitarbeiter, welche bereit sind auch Risiken einzugehen. Und je wesentlicher der Einfluss einer Einzelperson auf die Zielerreichung ist, desto konsequenter ist die richtige Besetzung sicherzustellen.
  • „Probieren geht über Studieren“: Je weniger Erfahrungswerte für ein Vorhaben bestehen oder je unvorhersehbarer die Lösungswege sind, desto weniger darf man sich auf eigene Annahmen verlassen, sondern sollte vor allem am Markt die Ideen/Produkte etc. auszuprobieren. Für die Lösung der unvorhersehbaren neuen Erkenntnisse ist genügend Reserve einzuplanen.

Mehr über das spannende Startup iNNutriGEL HIER


Vom Blog „Better Controlling“ inspirieren lassen

Alt Text

Angespornt von der erfolgreichen Umsetzung komplexer Vorhaben, entwickeln und promoten wir ein wirksames Controllingsystem als integraler Bestandteil von Organisationen. Das System basiert auf konkreten Erfahrungen und praxiserprobten Lösungen und Hilfsmitteln. Dazu führen wir Spezialisten und Anwender in einem Netzwerk zusammen – zur Erweiterung und Vertiefung von Wissen und Know-how.

© BETTER CONTROLLING / Autoren: Dimo Gehrig, Renate Moeckli

BETTER CONTROLLING erscheint mindestens einmal monatlich. Sie können diesen Blog abonnieren, um Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten. Registrieren Sie sich HIER.

Als PDF herunterladen: Was kann Controlling von Extremsituationen lernen – Startups (Post #2)

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *